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„Die Isolation für die anderen geht vorbei – für uns wird sie bleiben“

Langsam werden die Corona-Einschränkungen gelockert. Geschäfte öffnen, einige Jahrgangsstufen besuchen die Schule und sogar Restaurants sollen in diesem Monat wieder Gäste bewirten.

Für viele chronisch erkrankte Menschen ist die Isolation jedoch nicht zeitlich begrenzt. Vielleicht geht es einigen von uns irgendwann wieder so gut, dass wir mehr am normalen Leben teilnehmen können – aber unser „Ausnahmezustand“ folgt keinem Plan und hat kein Ablaufdatum.

Die aktuelle Krise betrifft zwar alle Menschen, jung und alt, krank oder gesund: Durch Kontakteinschränkungen, finanzielle Sorgen, Stress durch die Enge zu Hause und auch durch Langeweile und Einsamkeit.

Aber wie viele Menschen mussten schon vor der Krise mit Isolation, Bewegungs- und Freiheitseinschränkungen und Sorgen um die eigene Gesundheit leben?

Wie viele chronisch kranke oder alte Menschen bekommen nie oder selten Besuch?

Wie viele von uns können nicht ausgehen, Freunde treffen, in ein Restaurant gehen oder einkaufen?

Viele von uns mussten die Stärke und Geduld, die jetzt von der ganzen Gesellschaft verlangt wird, oft schon für lange Zeit um ein Vielfaches beweisen.

Ich habe LeserInnen meines Blogs gefragt, wie ihr Lebensalltag aussieht, was die Coronakrise verändert hat – oder auch nicht – und was hilft, mit der Situation umzugehen.

Siggi, Helmut und Petra haben mir von ihrem Leben und ihrem Umgang mit der Situation berichtet.

Petra: Isolation durch Duftstoff-Unverträglichkeit

Petra leidet, ähnlich wie ich selbst, seit drei Jahren unter MCS, einer starken Chemikalienunverträglichkeit. Dazu gehören leider auch alle möglichen Duftstoffe, die gesunde Menschen, oft ohne sich darüber bewusst zu sein, in jedem Körperpflege- oder Reinigungsprodukt täglich verwenden.

Für Menschen wie Petra und mich bedeutet das eine massive Einschränkung der sozialen Kontakte. Zum Glück gibt es Menschen in meinem Umfeld, die kaum Haarspray, Parfum, stark riechende Deos oder Creme verwenden – mit diesen Menschen kann ich engeren Umgang haben. Das ist aber leider die große Ausnahme.

Noch schwieriger ist es, mit mehreren Menschen zusammen zu treffen, wie bei einer Veranstaltung oder einer Geburtstagsfeier. Unmöglich, alle Menschen zuvor darum zu bitten, sich selbst und die Kleidung heute nur mit Wasser und Neutralseife zu waschen und auf Deo und Weichspüler zu verzichten!

Auslöser der Erkrankung waren bei Petra vermutlich der andauernde Kontakt zu starken Desinfektionsmitteln bei ihrer Arbeit als Dialysefachschwester, Pfeiffersches Drüsenfieber / EBV und dazu zwei Operationen am Herzen.

Aufgrund ihrer Unverträglichkeiten ist sie aus einem Mehrfamilienhaus in ein kleines Dorf mit nur einer Straße umgezogen. Sie schreibt zu ihrer Situation:

„Ich war vorher Dialysefachschwester, bin jetzt 59 Jahre und hatte das große Glück, hier in einem evangelischen Kinderheim einen ehrenamtlichen Job zu bekommen. Ich versorge nun fast jeden Tag die vier Therapiepferde und meines. Ich füttere sie und mache alles, was sonst so anfällt.

Eine Gruppe hat das Waschmittel auf Natron umgestellt, so dass ich auch mal etwas mit den Kindern (allerdings vorsichtshalber mit Maske) machen kann, darüber bin ich sehr glücklich.

Es gibt wenige Menschen in meinem Umfeld, die so minimal beduftet sind, so dass ich mich im Freien mal kurz mit ihnen treffen kann.

Durch die Krankheit ist auch meine Energie sehr eingeschränkt.

Ich lebe hier fast völlig isoliert. In meinem „vorherigen Leben“ hatte ich viele Freunde und war immer unterwegs.

Komme aber zwischenzeitlich recht gut damit zurecht. Hier habe ich ein Haus, einen großen Garten, Bach und Wald. Mit der Nachbarin haben mein Mann und ich schon gesprochen. Sie lässt jetzt Weichspüler und Ariel meist weg und nimmt das duftstofffreie Waschmittel, das mein Mann ihr gekauft hat. 

Meine große Stütze ist mein Mann und mein Glaube an Gott.

Man gewöhnt sich daran und kann sich sein Leben da auch gut einrichten und den Fokus auf andere Ziele setzen. Die Isolation für die anderen geht vorbei….für uns wird sie ein Leben lang bleiben.“

Sigrid: Isolation durch Medikamentenentzug und Gehöreinschränkung

Sigrid hat seit vielen Jahren eine starke Gehöreinschränkung. Gespräche mit mehr als zwei Personen sind ihr trotz eines Cochlea-Implantats nicht möglich. Hinzu kommen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und viele weitere Symptome, unter denen sie seit Jahren als Folge der Einnahme und des Absetzens eines Medikaments leidet:

„Ich bete viel und danke sofort, wenn es Tage mit guten Momenten gibt. Sehr schwer ist im Moment die Isolation durch die Corona Krise. Meine Familie habe ich vor 3 Wochen zum letzten Mal gesehen, sie fehlt mir sehr.

Ich bin seit 2001 wegen meiner Fastertaubung in EU-Rente.

Seit 10 Jahren leide ich außerdem unter der Einnahme und Entzugssymptomen eines Medikaments, das mir von meiner Ärztin aufgedrängt wurde, dass ich aber nie gut vertragen habe – und beim Absetzen bekam ich große Probleme mit seither andauernden Symptomen (Angst, Unruhe, Panik, Katastrophengedanken, Schwindel, teilweise Depris, Nahrungsmittel- und Medikamentenunverträglichkeiten).

Jeder Tag ist eine Herausforderung.

In den letzten 10 Jahren hatte ich insgesamt, wenn ich die Tage zusammenzähle, höchstens 30 Tage, die unbeschwert, gut und seelisch aufbauend waren.

Ich bin 78 Jahre alt und habe natürlich große Angst vor Corona.

So bekam ich vor vier Tagen eine Aktiv-Impfung gegen Pneumokokken. Natürlich hatte ich wahnsinnige Angst vor den Nebenwirkungen aufgrund meiner Unverträglichkeiten.

Auch meine tägliche Ernährung ist sehr eingeschränkt. Aber auch damit habe ich mich arrangiert, denn es blieb mir ja nichts anderes übrig. 

Aber Corona setzt all dem noch die Krone auf, denn die Sehnsucht nach persönlichen Kontakten ist groß – aber der Kontakt zu Freundinnen und zu den Kindern ist nicht möglich.

Also bringen diese Symptome in der jetzigen Krisenzeit noch mehr Abstriche und Einsamkeit. Aber… auch jetzt zwinge ich mich, jeden Tag bei diesem schönen  Sonnenschein mindestens eine Stunde täglich zu spazieren.

Ich muss aber sagen, dass diese Isolation dennoch eigenartig ist, denn dadurch, dass ich keine „Verpflichtungen“ habe, auch wenn sie teilweise schöner Natur sind, spüre ich mehr innere „Ruhe“, ein Gefühl wie: „Nichts und niemand kann im Moment etwas von dir verlangen, du darfst dich all dem hingeben, musst keine Leistung bringen, kannst versuchen alles loszulassen und dich nur darauf zu konzentrieren, gesund zu werden.

Vielleicht ist da auch ein positives Gefühl dabei. Zum Einen, dass ich diese  Isolations- und Einsamkeitsgefühle nicht alleine erlebe, sondern weltweit Menschen davon betroffen sind – und ein Gefühl, ich darf mich mal ganz alleine nur um mich selbst kümmern….weil ich mir „wichtig“ bin.

Ich denke auch, dass meine Dankbarkeit, Geduld und Demut durch meinen christlichen Glauben gewachsen sind, denn manchmal frage ich mich, woher ich immer wieder die Kraft nehme.“

Helmut: „Ärztliche Versorgung für uns chronisch Kranke ist zusammengebrochen“

Helmut ist Anfang 50 und lebt in Österreich. Er leidet seit seiner Kindheit unter chronischen Schmerzen und anderen gesundheitlichen Problemen. Auch für ihn bedeutet die Corona-Krise noch stärkere soziale Isolation – und Sorge bereitet ihm vor allem die medizinische Versorgung chronisch erkrankter Menschen:

„Die Isolation jetzt ist auch für mich eine Herausforderung, weil ich quasi ja wie in Einzelhaft bin, ich darf das Haus nur verlassen, wenn ich einkaufen muss, zur Bank bzw. sollte man auch Spaziergänge so kurz wie möglich halten und auch das Stadtgebiet nicht verlassen, was ich nicht verstehe, weil wenn ich alleine auf einen Berg fahre und dort kein Mensch ist, warum darf ich dort nicht im Wald spazieren gehen?

Ich arbeite von Zuhause, auch das ist ein massiver Einschnitt für mich, ich habe die wenigen sozialen Kontakte verloren in der Arbeit, auch wenn die nicht immer positiv waren, aber es war Ablenkung.

Ich lebe alleine und das kann gut sein, aber auch nicht, je nachdem mit wem man lebt. Ich fühle mich schon sehr einsam, ich bekomme auch kaum Anrufe.

Betroffene wie ich, die chronisch krank sind, sind meiner Ansicht nach von dieser Situation noch stärker betroffen als die „Normalen“.

Die ärztliche Versorgung für uns chronisch Kranke ist bei uns mehr oder weniger zusammengebrochen. Die Privat- und Wahlärzte arbeiten zum Teil gar nicht, die Zahnärzte verweigern sogar Schmerzpatienten die Behandlung in vielen Bereichen und wie gesagt, abgesehen von Corona gibt es sehr viele Menschen, die ärztliche Betreuung brauchen, aber wir können nirgendwo hin mehr gehen und werden auf uns gestellt und das macht auch Angst.

Positiv sehe ich die Entschleunigung, die Entlastung der Natur, negativ die Panikmache und Angstmache der Politik und Medien, Sorgen und Ängste schwächen die Psyche, das Immunsystem.

Ablenkung ist für mich persönlich schwer, meine Hobbies sind Sport und Sportübertragungen im TV, das ist alles gestrichen für das ganze Jahr, kein Tennis, kein Fußball, kein Wintersport mehr, keine Formel 1 – all das hat mir Freude gemacht und Ablenkung. Nachrichten oder US-Serien interessieren mich nicht.

Jetzt wo es so kalt ist und windig habe ich Angst einen neuen Infekt zu bekommen und daher ist meine Hündin bei einer Freundin, die eben nicht arbeiten kann, sie fühlt sich dort wohl und ich bin dankbar, dass sie meine Hündin genommen hat.

Wenn meine Hündin bei mir ist, ist das deutlich besser, weil wir 5-7 Mal pro Tag rausgehen und ich nicht allein bin.

Was hilft mir, um mit meinen Einschränkungen und meiner Erkrankung umzugehen? Pragmatismus, ich weiß ich habe keine Wahl, alles was ich schaffe kann nur ich schaffen.“

Ein anderes Leben

Für mich war es vor meiner Erkrankung unvorstellbar, nicht meinen Alltag selbst bestimmen zu können, keinen Sport zu machen, kaum andere Menschen zu treffen oder nicht essen zu können was ich möchte.

Aber auch ein Leben ohne die vielen Aktivitäten, äußerlichen Freiheiten und Genüsse ist ein lebenswertes Leben.

Zur Zeit kann ich mein Bett kaum verlassen. Das ist für mich als Natur- und Bewegungsmensch unfassbar schwer. Ich brauche keine Partys, kein Shopping und auch auf Restaurantbesuche verzichte ich gern.

Aber ein Leben ohne Bewegung und Unabhängigkeit?

Trotzdem gibt es so vieles, warum es sich auch jetzt lohnt zu leben.

Gerade jetzt, wo ich das hier schreibe, höre ich Vogelgezwitscher und spüre die frühe Morgenluft ins Fenster wehen. Ich höre Menschen vorbeigehen, den Nachbarn, der sein Fahrradschloss aufschließt um zur Arbeit zu fahren.

Ich habe ein großes, freundliches Zimmer mit bunten Tüchern und Aquarellen an der Wand, die ich manchmal male.

Meine liebe Hündin liegt mir gegenüber auf ihrer Couch und wartet, dass sie für den Morgenspaziergang geholt wird.

Um mein Bett herum gestapelt sind die verschiedensten Bücher und alle möglichen anderen Dinge, die ich brauchen könnte.

Die größte Aufgabe ist für mich, meine Aufmerksamkeit immer wieder zu erweitern, zu sehen, dass mein Leben zwar ruhiger und anders, aber trotzdem reich und vielfältig ist.

Unsere Wahrnehmung ist wie das Betrachten von Fraktalen mit feinsten, unendlich verzweigten Verästelungen.

Wenn wir nicht genau hinschauen, zu schnell vorübergehen, sehen wir vielleicht mehr Bilder – aber immer nur die groben Strukturen.

Sind wir gezwungen, innezuhalten, mögen wir uns erstmal beklagen, nur noch ein einziges Bild betrachten zu können. Aber erst, wenn wir uns wirklich auf dieses Bild konzentrieren fangen wir an die Feinheiten und die Schönheit zu erkennen.

Viele kennen das Gleichnis mit Beppo dem Straßenkehrer aus Momo:

„Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt.

Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst zu tun und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du?

Man muss immer nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.

Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.“

Und vielleicht entdecken wir beim schauen, atmen, und den nächsten Schritt machen in uns selbst etwas ganz Besonderes.

Neben allem, was so schwer zu tragen ist, ist da eine Stärke, eine so tiefe Wertschätzung und Liebe zum Leben, die ich sonst vielleicht nie beachtet oder erkannt hätte.

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