Drei Vögel auf einem Bambuszweig, mit Tusche gezeichnet
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Innere Kraftquelle: Sei wie ein Tier

Auch wenn es gut ist, dass wir unsere Situation reflektieren und bewerten können und komplexere Zusammenhänge verstehen: Es kann manchmal hilfreich sein, uns unsere tierischen Herkunft bewusst zu machen.

Tiere grübeln und bewerten nicht ständig, sondern leben mehr im Moment. Dadurch fällt es ihnen oft leichter, schwierige Situationen „abzuschütteln“ und zu vergessen. Außerdem haben wir, gerade wenn wir krank, ängstlich oder gestresst sind, Grundbedürfnisse, in denen wir uns nicht von anderen Tieren unterscheiden. Mich daran zu erinnern, hilft mir oft, schwere Zeiten durchzustehen.

Schon als Kind war ich von Tieren fasziniert. Ich sammelte Schnecken und Käfer ein, wünschte mir jede Weihnachten und jeden Geburtstag nichts sehnlicher als „ein Tier“. Ich konnte stundenlang für mich alleine Tiere beobachten, in der Grundschule gründeten wir die „Tierchenbande“ und später studierte ich Biologie. Was liegt da näher, als mir etwas davon abzuschauen, wie Tiere mit Erkrankungen und Lebenswidrigkeiten umgehen?

Sei wie ein Tier – nein, das soll nicht heißen, du solltest jetzt nur noch wiehernd, grunzend oder zwitschernd kommunizieren, auch nicht, dass du deine höheren Denkfähigkeiten komplett ausschalten musst.

Wie ein Tier sein heißt eher: Spüre, dass du in dir einen genauso instinktiv fühlenden und reagierenden Anteil hast, wie jedes Tier. Und dass dieser Anteil nützlich und wichtig ist. Denn auch, wenn uns das oft nicht so ganz bewusst ist: Wir sind, biologisch betrachtet, Tiere, nur mit einem überdimensionierten Überbau im Gehirn, dem Neo-Cortex.

Inhalt

Tiere grübeln und bewerten nicht
Traumaheilung durch instinktive Körperwahrnehmung
Unsere instinktiven Bedürfnisse verstehen und berücksichtigen
Meine Tipps, um deinen „tierischen Anteil“ gut zu versorgen

Tiere grübeln und bewerten nicht

Unser hochentwickeltes Gehirn ist oft sehr nützlich. Wir können damit die Zukunft planen, über die Vergangenheit nachdenken, Zusammenhänge verstehen, Lesen, Schreiben, unsere nächsten medizinischen Behandlungsoptionen überdenken und entscheiden. Wir können Mitgefühl empfinden und uns mit Menschen verbunden fühlen, die wir noch nie getroffen haben und die auf einem ganz anderen Kontinent leben.

Aber: Unser kompliziertes Denkvermögen behindert uns auch in manchen Dingen. Wir vergessen schnell unsere Ur-Bedürfnisse. Wir sind so gut darin, uns anzupassen und zu verinnerlichen, was und wie wir sein sollten, das wir nicht mehr wissen was wir eigentlich brauchen. Wir verlernen die Selbstverständlichkeit, mit der Tiere reagieren – und wir bewerten manchmal ganz wichtige und nützliche Reaktionen unseres Körpers als unerwünscht oder bedrohlich.

Unser Gehirn ist auch gut darin, uns negative Zukunftsszenarien auszumalen. Oder uns ständig daran zu erinnern, dass unser aktueller Zustand inakzeptabel oder sozial unerwünscht sei.

Tiere haben zumindest dieses Problem des ständigen Bewertens und Grübelns nicht. Sie leben mehr im Moment. Sie tun das, was gerade geht und getan werden muss oder was ihnen gut tut.

Wenn ein Tier krank ist, Schmerzen hat oder ängstlich ist, reagiert es instinktiv. Es schützt sich, versucht sich in Sicherheit zu bringen und harrt aus, solange es eben sein muss.

Wenn möglich und sinnvoll, wird das Tier sich an einen Ort begeben der vertraut ist – wo es Hilfe bekommt und versorgt ist. Es wird auch kein schlechtes Gewissen haben, weil es nicht selbst Nahrung beschaffen kann. Wenn ich mir ein Tier vorstelle, das krank ist und versorgt wird, wird mir sehr deutlich, wie unsinnig dieses schlechte Gewissen, die Schuld- und die Schamgefühle darüber eigentlich sind, die viele von uns zu oft plagen.

Als ich aufgrund meiner Schmerzen kaum laufen konnte, schrieb ich einmal auf:

…gestern habe ich zwei sehr junge Eidechsen beim Sonnen und Jagen beobachtet. Eine ganz unversehrt, die andere mit abgebrochener und verkürzt nachgewachsener Schwanzspitze. Diese zweite, etwas kaputte, hat mich sehr berührt. Denn sie bewegte sich ohne zu zögern genau wie die andere, auch wenn ihr manche Bewegungen und Klettern viel schwerer fielen…

Das erinnert mich daran, wie Tiere sich ihre Situation nicht noch durch Gedanken verkomplizieren, sondern einfach leben und überleben, so wie sie es eben gerade können.

Traumaheilung durch instinktive Körperwahrnehmung

Besonders wichtig und hilfreich kann es sein, den instinktiven, „tierischen“ Anteil in dir zu verstehen, wenn du unter Traumafolgen leidest oder du merkst, dass eine sehr schwierige Situation Spuren in deinem Nervensystem hinterlassen hat.

Ich lese gerade das Buch „Waking the Tiger“ von Peter Levine (eine ausführliche Rezension folgt noch).

Darin beschreibt der Autor vor allem, wie jedes als bedrohlich empfundenes Erlebnis eine von drei ganz natürlichen körperlichen Reaktionen zur Folge hat: Kampf, Flucht oder Erstarrung.

Dies passiert unterbewusst und entzieht sich unserer Kontrolle und teilweise auch unserer Wahrnehmung. Bei Tieren in natürlicher Umgebung hat dieser Mechanismus meist keine schädlichen Folgen: Das Tier löst sich aus der Erstarrung, flüchtet, kämpft – und kann danach die im Nervensystem noch übrige Energie durch Schütteln und Zittern wieder auflösen und normal weiter leben.

Wir Menschen jedoch versuchen meist, unsere Reaktionen zu kontrollieren oder wir werden gar dazu angehalten, „stark zu sein“. Außerdem befanden sich manche von uns schon in der Kindheit in andauernden Stresssituationen, die wir nicht in Sekunden- oder Minutenschnelle auflösen können – dadurch bleibt unser Körper immer ein Stück weit in diesem Kampf-, Flucht-, oder Erstarrungsmodus gefangen, der eigentlich nur als kurzfristige Reaktion gedacht ist.

Der Schlüssel, um diese für uns langfristig schädliche angestaute Energie wieder loszuwerden, ist laut Levine, wieder ein instinktives Gefühl für unseren Körperzustand zu erlernen – also wie ein Tier zu fühlen – und unserem Körper zu erlauben, diesen natürlichen Prozess nach und nach abzuschließen.

Wenn du wie ich Hundebesitzer*in bist oder Hunde öfter beobachtest, weißt du, dass es für die Tiere ganz normal ist, sich nach angespannten Situationen erst mal ausgiebig zu schütteln. Und was machen wir? Wir bemühen uns, uns „normal“ zu verhalten. Uns nichts anmerken zu lassen, als ob wir durch unsere äußere Ungerührtheit verhindern könnten, dass es uns im Inneren berührt.

Wenn du also eine schwierige Situation hinter die hast, dich extrem angespannt fühlst oder einfach eine belastende Begegnung hattest, und danach den Impuls verspürst dich zu schütteln, zu strecken, ausgiebig zu gähnen oder auch am ganzen Körper zu zittern – lass es möglichst zu.

Es ist etwas Gutes. Es ist eine natürliche, gesunde Reaktion, kein Zeichen von Krankheit oder Schwäche. Auch wenn du dich danach sehr erschöpft und müde fühlst, du hilfst deinem Körper damit, die angestaute Energie loszuwerden.

Falls dich diese Reaktion alleine überwältigt oder du sie nicht zulassen kannst, kann es sein, dass du zuerst einen sicheren Ort oder eine Person brauchst, die dir Sicherheit gibt – es ist auch ganz natürlich, dass wir die Energie erst loslassen können, wenn wir uns geschützt genug fühlen.

Unsere instinktiven Bedürfnisse verstehen und berücksichtigen

Viele Menschen, die unter chronischen Erkrankungen leiden, berichten, dass es ihnen schwerer fällt als früher, allein zu sein. Mir ging das besonders zu Beginn meiner Erkrankung so – oder auch jetzt in schlechteren Phasen.

Gleichzeitig fühlen sich viele von uns schneller angestrengt und überfordert, wenn wir unter Menschen sind.

So paradox das auch klingt: Es macht aus der Sicht des „kranken Tiers“ in uns sehr viel Sinn. Auch wenn wir vieles noch selbst bewältigen können, haben wir ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit.

Allein sein signalisiert unserem instinktiven Anteil, dass möglicherweise die Versorgung und unser Schutz nicht gewährleistet sein könnte.

Ursprünglich waren wir auf unsere Familienbande, unsere Horde angewiesen um zu überleben. Wenn wir von unserer Familie im Krankheitsfall keine oder wenig Hilfe bekommen können, ist das für unsere Instinkte natürlich eine riskante Situation.

Das zu verstehen kann helfen, uns bewusst zu machen dass die Angst eine natürliche Vorsichtsmaßnahme ist.

Wir leben aber in einer Welt, in der es zum Glück viele Möglichkeiten der Versorgung gibt und viele andere Kontaktmöglichkeiten außerhalb unserer Familie.

Es ist wichtig, uns das immer wieder zu sagen. Alleine zu sein, gerade wenn du eingeschränkt und krank bist, ist natürlich sehr schwer. Aber wir können überleben, und die Angst, die wir dabei vielleicht verspüren, ist manchmal größer, als die tatsächliche Bedrohung.

Es ist nur gar nicht so einfach, unserem instinktiven Nervensystem klar zu machen, dass der Lieferdienst des Internetshops, zumindest was die Nahrungsbeschaffung angeht, genauso zuverlässig ist wie ein sich liebevoll kümmerndes und uns versorgendes Familienmitglied.

Zuviel unter Menschen zu sein kann auf das Tier in uns auch bedrohlich wirken, gerade wenn wir sie nicht sehr gut kennen oder ihnen nicht ganz und gar vertrauen. Auch unvorhersehbare Besuche oder Begegnungen können überfordern.

Wenn wir krank sind können wir uns nicht so gut verteidigen und schützen. Unter Artgenossen zu sein kann für Tiere (zum Glück für Menschen in unserer Gesellschaft eher selten) auch bedeuteten in einen Kampf verwickelt zu werden. Es kann auch bedeuten, sich mit weiteren Krankheiten zu infizieren. Wahrscheinlich auch deswegen haben wir oft das Bedürfnis, größere Menschenansammlungen oder fremde Orte zu meiden, wenn wir uns nicht gesund fühlen.

Ich denke, es ist wichtig, uns dieser instinktiven Bedürfnisse bewusst zu sein.

Wir können und sollten natürlich nicht alles vermeiden, wovor  uns unsere Instinkte warnen. Aber wir dürfen sie ernst nehmen, um unsere Ängste oder Sorgen besser zu verstehen. Es ist nichts anormales daran, vermeintlich irrationale Ängste zu haben oder ungewöhnliche Bedürfnisse – gerade wenn wir krank sind.

Es sind ganz normale Reaktionen, die sich auch teilweise wieder verändern können, wenn wir gut für uns sorgen und merken, uns passiert nichts.

Auf der anderen Seite dürfen wir auch nicht die Lebensfreude vergessen, die Tiere ausstrahlen wenn es ihnen etwas besser geht oder sie sich über etwas freuen: Auch wenn sie eine schwere Zeit hinter sich haben, und es vielleicht schon am nächsten Tag wieder ganz anders aussieht lassen sie sich davon nicht einen schönen Moment verderben.

Genauso dürfen und sollten auch wir uns freuen und es genießen wenn wir einen besseren Augenblick haben, ohne schlechtes Gewissen und Bedenken wie „wird mir dann noch geglaubt, wie krank ich eigentlich bin“ – oder „es lohnt sich ja nicht, sich zu freuen – umso größer ist die Enttäuschung, wenn es wieder schlechter geht“.

Ich kenne diese Bedenken gut, aber ich glaube, es ist gerade für uns wichtig, einen schönen Moment so sehr auszukosten wie es nur geht.

Meine Tipps, um deinen „tierischen Anteil“ gut zu versorgen

Mach es dir in deinem Rückzugsraum besonders gemütlich, zum Beispiel mit Fellen und Decken – baue dir vielleicht sogar eine Höhle damit.

Sanfte Wärme kann nicht nur schmerzende Muskeln entspannen, sondern auch Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.

Achte darauf, dass du möglichst keine kalten Hände und Füße hast. Kalte Gliedmaßen können für deine Instinkte ein Zeichen sein, dass dein Zufluchtsort zu kalt ist, um zur Ruhe zu kommen.

Habe immer genug zu Essen zu Hause, ein gewisser Vorrat an haltbaren Lebensmitteln kann dir Versorgungssicherheit vermitteln.

Nicht den ganzen Tag zu essen kann den Körper zwar entlasten (Intervallfasten) – aber du solltest dich nicht dazu zwingen, dich nicht unwohl und übermäßig hungrig fühlen.

Halte soviel Kontakt zu liebevollen Menschen wie möglich – auch wenn es „nur“ über E-Mail und Telefon ist.

Mache wie ein Tier einen möglichst großen Bogen um Menschen, die dich verunsichern und dir nicht gut tun.

Meide insgesamt alle Einflüsse die auf dein Unterbewusstsein bedrohlich wirken können – insbesondere zu gewalttätige Filme oder Nachrichtensendungen.

Vertraute Geräusche können beruhigen. Auch wenn du deine Lieblingsserie ohne hinzuschauen das zehnte Mal ablaufen lässt – es suggeriert deinem Nervensystem, von vertrauten Menschen umgeben und damit in Sicherheit zu sein.

Wenn du jemanden hast, dem du vertraust und wo es sich gut anfühlt, kann achtsamer Körperkontakt wie eine Umarmung oder auch einfach das Halten deiner Hand für eine Weile hilfreich sein, um deinem Unterbewusstsein Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln.

Ich merke das immer wieder an meiner Hündin: Wenn sie sich in meinem Schoß einrollen darf (was nicht so leicht ist, da sie ein wenig zu groß geraten ist für einen Schoßhund) gerät sie sofort in einen Zustand tiefer Entspannung und Geborgenheit.

Ein Haustier zu haben ist auch eine Möglichkeit, sich geborgener und weniger alleine zu fühlen. Natürlich mag das nicht jeder, und die Versorgung eines Haustiers ist auch wieder eine zu bewältigende Aufgabe. Aber der Kontakt mit einem lebenden, fühlenden Wesen, die Wärme zu spüren und das Fell zu streicheln, kann uns sehr helfen uns instinktiv zu erden und zu entspannen – und so manches können wir uns von unserem Haustier abschauen.

Wenn du etwas Gutes isst, du in einer schönen Umgebung oder in der Natur bist oder einfach nur aus dem geöffneten Fenster siehst, versuche all deine Sinne zu benutzen.

Meist achten wir kaum auf all die Geräusche, Gerüche und Farben, die uns umgeben. Den Wind auf der Haut oder die Sonne im Gesicht. Sand oder Steine unter den Füßen – oder auch einen Igelball, wenn du auf dem Bett liegst.

Auch wenn du nicht sehr mobil bist, kannst du so mehr erleben und wahrnehmen als viele andere Menschen es üblicherweise tun. Es ist ein Teil unserer Ur-Bedürfnisse, alle unsere Sinne zu benutzen – zu oft lassen wir sie verkümmern.

Achte darauf, was dein Körper braucht und entwickle eine gute Körperwahrnehmung. Bewege dich, wenn du den Impuls dazu verspürst (auch wenn das bei dir im Augenblick vielleicht nur das Wackeln mit dem großen Zeh oder Fingerübungen bedeutet) und ruhe dich aus, wenn es das ist, was dein Körper gerade braucht.

Ein Tier macht es genau so: Es spielt und rennt, wenn die Energie abgebaut werden möchte, und legt sich hin und schläft, wenn es müde ist. Ohne zu bewerten, ohne lange zu überlegen.

Wenn gar nichts mehr geht, weil die Schmerzen oder andere Symptome heute zu überwältigend sind – dann halte durch wie ein Tier. Rolle dich ein, sorge nur für das Lebensnotwendige.

Es ist ok, manchmal einfach nur zu überleben.

Hast du dir auch etwas bei den Tieren abgeschaut, das dir beim Leben, Überleben und Durchhalten hilft?

Zum Weiterlesen

Peter A. Levine: Traumaheilung – Das Erwachen des Tigers

Darum hilft Zittern gegen Stress und Angst (Artikel in der HAZ)

2 Comments

  • Vera

    Liebe Elisa !

    Spontan fällt mir ein Hund ein, dessen Freund ich war.

    Diese fortwährende Freude,
    wenn ich die Tür auffschloß
    als hätten wir uns ewig nicht gesehen oder es sei das letzte Mal, so intensiv

    War ihr nicht nach irgendwas, zog sie sich zurück.

    Oder kam auf den Schoß.

    Natürlich.

    Ich bedanke mich herzlich
    für Deinen tierischen Gedankenanstoß.

    ( ͡°( ͡° ͜ʖ( ͡° ͜ʖ ͡°)ʖ ͡°) ͡

    • Elisa

      Liebe Vera,
      ja, diese spontane Hunde-Freude kann wirklich sehr ansteckend sein 🙂 da können wir uns was abgucken.
      Liebe Grüße
      Elisa

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