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Die Bürde unsichtbarer Erkrankungen

Die Bürde unsichtbarer körperlicher und seelischer Erkrankungen

Vier zusätzliche Belastungen, denen Menschen mit unsichtbaren körperlichen und seelischen Erkrankungen ausgesetzt sind

Dieser Beitrag wurde ursprünglich von Toni Bernhard auf ihrem Blog bei Psychology Today veröffentlicht. Ich habe ihn mit freundlicher Genehmigung der Autorin aus dem Englischen übersetzt. Link zum Originaltext: The Burdens Posed by Invisible Physical and Mental Illnesses

Ich sehe gesund aus. Meine Freundin, die ich hier Gail nenne, sieht ebenfalls gesund aus. Der Unterschied ist, dass ich unter einer körperlichen Erkrankung leide und sie unter einer seelischen Erkrankung: Depression. Die Gemeinsamkeit ist, beide Erkrankungen sind nach außen hin unsichtbar.

Ungeachtet der unterschiedlichen Ursachen unserer Erkrankungen, ähnelt sich unser Leben in vielen Aspekten. Ich möchte so furchtbar gerne raus gehen und andere Menschen treffen, besonders abends wenn die meisten Menschen unterwegs sind und Besuche machen. Aber ich kann es nicht. Meine körperlichen Einschränkungen bedingen, dass ich das Haus nicht verlassen kann.

Und Gail? Ihr Körper hält sie nicht davon ab, diesen Aktivitäten nachzugehen, aber ihr emotionaler Zustand tut es. Für sie ist es sehr schwer das Haus zu verlassen. Sie findet es schwer, Menschen zu treffen. An manchen Tagen möchte sie sich einrollen und im Bett bleiben. Ich mache das auch, aber aus anderen Gründen.

Die Tatsache, dass unser beider Erkrankung für alle, außer für die, die uns am nächsten stehen, unsichtbar ist, setzt uns vielen ähnlichen Schwierigkeiten aus. Dieser Artikel wird vier davon behandeln.

1. Wie gehen wir mit den Erwartungen anderer um, und wie viel teilen wir ihnen mit?

Dies kann während der Feiertage und bei Familienzusammenkünften ein großes Problem sein. Wir mögen schrecklich leiden, auch wenn wir nach außen hin völlig in Ordnung erscheinen. Daher erwarten andere möglicherweise, dass wir uns mehr einbringen und mehr in Kontakt gehen.

Es ist aber nicht gesund für uns, uns in eine Situation zu bringen wo wir dazu gezwungen sind Dinge zu tun, die dazu führen, dass es uns körperlich oder seelisch schlechter geht.

Viele Menschen, die unter Depressionen leiden, funktionieren im Alltag. Daher sind ihre Schwierigkeiten und Leiden unsichtbar für andere. Sie werden dafür kritisiert, nicht in Feiertag-Laune zu sein – auch wenn allein der Gedanke an die Feiertage und alles was sie mit sich bringen ihre Depression verschlimmern kann.

Wir gehen wir mit diesen Erwartungen um? Wie viel teilen wir über unseren Kampf, unsere Schwierigkeiten mit? Die offensichtliche Antwort ist,  ehrlich zu sein. Aber wenn wir depressiv sind, möchten wir vielleicht anderen nicht unsere inneren Kämpfe anvertrauen, auch nicht denen, die uns am nächsten stehen. Und wenn wir körperlich krank sind oder Schmerzen haben, haben wir vielleicht Sorge, dass die anderen nichts über unsere Symptome hören möchten, ganz besonders zu einer Zeit wenn jeder gut gelaunt sein sollte.

In diesem Dilemma stecke ich jedes mal wenn ich mit anderen Menschen zusammen bin. Auf der einen Seite möchte ich, dass sie verstehen warum ich derart eingeschränkt bin in dem was ich tun kann. Andererseits möchte ich ihnen nicht meine gesundheitlichen Probleme aufdrängen, wenn sie nicht von selbst Interesse gezeigt haben – auch weil es ihre eigenen Ängste vor Krankheiten triggern könnte.

In sekundenschnelle Entscheidungen darüber zu treffen, wie viel du erzählen sollst verstärkt noch die Bürde, chronisch krank zu sein, da es seelisch und körperlich anstrengend und kraftraubend ist.

2. Wie sollen wir aussehen, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind?

Wenn wir uns Zeit nehmen, dafür zu sorgen, dass wir gut aussehen wenn wir mit Freunden und Familie zusammen sind, nehmen sie vielleicht an wir sind fit genug sind um alles Mögliche zu tun – obwohl wir in Wirklichkeit entweder zu krank, zu ängstlich oder zu depressiv sind um überhaupt viel zu machen.

Dennoch kann es schlecht für unsere innere Verfassung sein, nicht zu versuchen, so gut wie möglich auszusehen wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind.

Ich begegne diesem Dilemma wie ich aussehen soll, wenn ich andere Menschen treffe, jedes mal wenn ich etwas unternehme.

Ich erinnere mich an das Hin und Her in meinen Kopf im Jahr 2010, als mein Buch „How to be sick“ erschienen ist und ich mich fertig machte, um zu einer Veranstaltung unseres lokalen Buchladens zu gehen.

Ich dachte: Wenn ich Rouge und Lippenstift auftrage um mein verhärmtes und blasses Gesicht zu überdecken, denken die Leute vielleicht, dass die Autorin von „How to be sick“ gar nicht wirklich krank ist.
Aber es werden auch viele Leute dort sein, die ich schon ewig nicht gesehen habe, und es wird mir gut tun, wenn ich für sie gut aussehe.

Dieser innere Dialog mag vielleicht alltäglich oder unbedeutend klingen, aber in diesem Moment war das schrecklich stressig für mich. Letztlich entschied ich mich für einen Kompromiss und trug etwas Lippenstift auf.

Wenn wir versuchen, so gut wie möglich auszusehen, begegnen wir auch dem Dilemma, mit Kommentaren darüber umzugehen, wie gut wir aussehen.

Wenn Leute zu uns sagen „Du siehst super aus!“ ist es schwer, würdevoll und großmütig damit umzugehen, wenn wir gerade körperlich oder emotional leiden. Wenn wir sagen „Nun, ich fühle mich aber nicht gut“ klingen wir feindselig oder zumindest undankbar für das Kompliment.

Ich bin inzwischen dazu übergegangen einfach „Danke“ zu sagen – und das Thema zu wechseln.

3.Was tun, wenn andere Menschen uns nicht glauben, dass wir seelisch oder körperlich leiden?

Dies kann eine schwere Belastung sein, besonders für diejenigen, die in ihren 20ern oder 30ern sind. Die Leute sagen „du bist zu jung um Schmerzen zu haben“ oder „du bist zu jung um depressiv zu sein, das Leben ist schön“. Aber physische und psychische Erkrankungen können uns in jedem Alter dauerhaft begleiten.

Als ich 2001 chronisch krank wurde, habe ich mir anfangs die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, ob die Leute mir glauben, dass ich krank bin. Ich hatte Angst, dass sie denken, ich wäre bloß faul oder eine Simulantin.

Als die Jahre vergingen, wurde mir immer unwichtiger ob andere mir glaubten, und das hat mir sehr gut getan. Stunden damit zu verbringen, sich darüber zu sorgen und zu ärgern ob andere verstehen wie krank ich bin, verbraucht die wenige wertvolle Energie die ich noch habe und kann meine Symptome verstärken.

Inzwischen sehe ich die Ursache für den Mangel an Verständnis in den anderen begründet, nicht in mir.

Krankheit – seelische oder körperliche – kann bei anderen Ängste über die eigene Gesundheit auslösen und dies kann dazu führen es abzulehnen uns zu glauben. Ich erinnere mich selbst auch daran, dass ich nicht kontrollieren kann was andere Menschen denken.

Niemand kann andere dazu zwingen sich so zu verhalten wie wir es möchten. Es ist für unseren Seelenfrieden besser, zu akzeptieren, dass manche Menschen es verstehen werden und andere nicht. Wir kennen die Wahrheit über uns selbst, das sollte uns genügen.

4. Mit Selbstkritik umgehen

Von den hunderten Menschen die mir geschrieben haben, habe ich gelernt, dass, wenn ihre gesundheitlichen Probleme unsichtbar sind, sie sich viel eher selbst dafür beschuldigen „nicht normal zu sein“.

Sie stellen eventuell sogar in Frage, ob sie wirklich krank sind. Es hilft dabei nicht, dass wir in einer Kultur leben, die uns mit Werbung und „Fernsehexperten“ bombardiert – die uns erzählen, dass jede*r körperlich und seelisch gesund und fit sein kann, wenn er/sie nur dieses oder jenes tut.

Aber in den meisten Fällen ist der Zustand unserer seelischen und körperlichen Gesundheit etwas, das sich außerhalb unserer Kontrolle befindet.

Das Allerwichtigste, was wir tun können, ist unser eigener bedingungsloser Verbündeter zu werden.

Es ist nicht unsere Schuld, dass wir krank sind.

Es ist nicht unsere Schuld, dass wir körperliche oder seelische Schmerzen haben. Das kann jedem passieren. Es ist eines der Risiken, denen jedes Leben ausgesetzt ist.

Das Gegenmittel zu Selbstkritik ist Selbstmitgefühl. Hat sich unser Körper ausgesucht, krank zu sein und Schmerzen zu haben? Nein! Haben wir uns ausgesucht, depressiv zu sein? Nein! Wenn wir dies wirklich erkennen, können wir damit beginnen uns mit Fürsorge und Güte zu begegnen. So wie wir einen geliebten Menschen behandeln würden der zu uns kommt und uns um Unterstützung in einer schwierigen Zeit bittet.

Ich empfehle, dass du liebevoll und freundlich mit dir selbst sprichst und Worte verwendest, die zu deiner speziellen Situation passen: “ Es ist traurig, dass ich das Fest aufgrund meiner Erkrankung verpasse“, „Es ist hart, mich selbst dazu zu zwingen raus zu gehen und Leute zu treffen, wenn ich mich so depressiv fühle, dass ich mich nur alleine in einer Ecke verkriechen möchte“

Während du diese Worte sprichst, könntest du dein Gesicht sanft mit deiner Hand streicheln oder einen Arm mit mit der Hand des anderen Arms berühren. Die körperliche Berührung erweicht mein Herz und lässt negative Selbstkritik verschwinden. Danach lebe ich meinen Tag so gut es geht weiter.

Unsichtbarkeit scheint für viele von uns mit körperlicher oder seelischer Erkrankung die am schwersten zu tragende Bürde zu sein. Ich sage das aufgrund der Nachrichten, die mir viele Menschen über ihre gesundheitlichen Probleme geschrieben haben.

Bitte erinnere dich selbst daran, dass es nicht deine Schuld, nicht dein Fehler ist, dass du gesundheitlich so zu kämpfen hast.

Kermit der Frosch singt „Es ist nicht leicht, grün zu sein“. Nun, oft ist es nicht leicht ein Mensch zu sein. Deswegen sollte unsere erste Priorität sein, uns selbst liebevoll zu behandeln.

Toni Bernhard ist die Autorin von drei preisgekrönten Büchern: How to Be Sick: A Buddhist-Inspired Guide for the Chronically Ill and Their Caregivers (jetzt in einer überarbeiteten und aktualisierten Version erhältlich), How to Wake Up: A Buddhist-Inspired Guide to Navigating Joy and Sorrow, und How to Live Well with Chronic Pain and Illness: A Mindful Guide. Bevor sie krank wurde, war sie Jura-Professorin und Studiendekanin an der University of California in Davis. Ihr beliebter Blog  “Turning Straw Into Gold” wird von Psychology Today online veröffentlicht. Besuche ihre Website unter www.tonibernhard.com.

Meine Rezension ihres ersten, auch auf deutsch erschienenen Buches findest du hier: Buchvorstellung: Das wird schon wieder?

Für mich ist mit die größte Bürde unsichtbarer Erkrankungen, bei Arztbesuchen nicht ernst genommen zu werden. In meinem Beitrag Herausforderung Arztbesuch findest du meine Tipps und Strategien dazu.

2 Comments

  • Vera

    Jahrzehnte liegen zurück,
    gesund war ich nie.
    Geglaubt wurde
    sie lernt nicht,simuliert, spinnt.

    Ich habe Abstand gehabt
    keine Nähe, ich war so nicht gewollt;
    und mir den Abstand erhalten.

    Ich wollte die nicht um mich haben, zu welchem Zweck.
    Es geht mir gut, ohne sie.
    Ich schätze die Wahrhaftigkeit.

    Ich habe mich immer schön gemacht
    Zum Ausgehen zu müde,
    wenn ich auf bin
    sehe ich aus, als ginge ich aus.

    Ich gehe aus – für mich.
    Alles passt – alles sitzt.

    Kalenderspruch:
    “ Wer sich nicht selbst liebt,
    kann keinen anderen lieben.“

    Lass‘ sie ungläubig bleiben.
    Halte Dich fern.
    Vergeude diese Energie nicht.

    Sei für Dich und diejenigen,
    die an Dich glauben, da.
    Zwei Menschen genügen.
    Du wirst eine gute Zeit haben.

    Auch wenn das rouge verschmiert.

    ☆ミ

    • Elisa

      Liebe Vera,
      Danke für deine Erfahrungen – wieder in so schönen Worten.
      Ja, es kostet eigentlich zu viel Energie, sich darüber Gedanken zu machen, was andere denken. Ich mache das zum Glück auch immer weniger – es muss für mich passen, nicht für andere.

      Schwierig ist es manchmal, wenn ich bei einem neuen Arzt oder einer Ärztin sitze, und zu gesund aussehe – auch Ärzt*innen beurteilen viel über den äußeren Eindruck und glauben dann nicht, dass ich wirklich so krank bin.

      Ganz Liebe Grüße
      Elisa

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