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Frag‘ nicht zu oft, wie es mir geht – Brief an einen Freund

Wenn jemand fragt, wie es mir geht, hat das oft zwei Seiten. Bei guten Freund*innen, die ich lange nicht gesehen habe, bin ich meist froh über eine ehrlich gemeinte Nachfrage – auch wenn es Kraft kostet, meine Situation zu erklären.

Genauso selbstverständlich sind diese Fragen für mich bei Menschen, mit denen ich fast täglichen Kontakt habe und denen es ähnlich geht wie mir: „Konntest du schlafen, geht’s halbwegs, kommst du zurecht?“ Es braucht hier nicht viel Erklärung, um zu sagen: „Heute ist es gar nicht gut.“ oder „Heute ist es ein wenig besser“. Wir verstehen, was das heißt.

Andererseits kann es anstrengend sein, zu oft mit dieser Frage konfrontiert zu werden.

Gerade wenn sie von Menschen kommt, die selbst nicht wissen, was es bedeutet, Tag für Tag krank zu sein.

Vor fast drei jahren schrieb ich deswegen einen Brief an einen Freund – heute früh, beim Aufwachen, musste ich plötzlich daran denken.

Damals war ich eingeschränkter durch Schmerzen und Erschöpfung, hatte aber dafür einige andere gesundheitliche Probleme noch nicht.

Dennoch ist meine Situation insgesamt ähnlich geblieben. Ich würde fast alles noch genauso schreiben – also teile ich diesen Text heute mit euch.

Brief an einen Freund

„Lieber *********,

Danke dir sehr für deine Unterstützung und für die lieben Wünsche.

Du hast mir in letzter Zeit mehrere E-Mails geschrieben, in denen du nach meinem Befinden fragst. Es tut mir leid, dass ich auf die meisten nicht antworten konnte.

Ich möchte dir gerne nochmal ein wenig über meine Situation berichten,da ich mich mit unserem Kontakt in den Zeiten, in denen es für mich sehr schwer ist, regelmäßig zu schreiben, nicht immer wohl fühle.

Es gibt da eine Sache, um die ich dich bitten möchte.

Bitte – frag‘ mich nicht ganz so oft danach, wie es mir geht.

Ich weiß, dass du so deine Unterstützung, deine Sorge und dein Interesse zeigen möchtest, und ich schätze das sehr.

Aber diese Fragen können mich auch ein wenig verletzen, wenn du sie zu oft stellst. Vielleicht, weil ich mich dann schuldig fühle, da es mir immer noch nicht besser geht, und vielleicht auch, weil es mich immer daran erinnert, krank zu sein – und dass das nicht „normal“ ist.

Die Antwort wird sowieso zur Zeit immer die Gleiche sein:

Mir geht es immer noch nicht gut – aber ich komme irgendwie zurecht.

Du weißt, dass ich krank bin und Schmerzen habe. Ich weiß nicht, ob und wann das wieder besser wird.

An vielen Tagen kann ich nicht schreiben, an anderen schon. An manchen Tagen kann ich nicht denken – an anderen geht das. An einigen Tagen kann ich nicht laufen, aber an anderen funktioniert es ganz gut.

Manchmal bin ich ziemlich wütend und genervt von all dem, was ich durchmache, oft bin ich eher gleichmütig oder sogar dankbar. Manchmal ändert sich das auch von Stunde zu Stunde.

Wie kann ich einen Weg finden, damit umzugehen, wie es nun mal gerade ist? Wie kannst du das?

Du kannst dich darauf verlassen, dass ich gut für mich sorge und dass ich niemals aufgeben werde.

Du kannst davon ausgehen, dass ich weiterhin, so es meine Kräfte zulassen und es für mich gut und sinnvoll scheint, nach Behandlungsmöglichkeiten und Erklärungen suche.

Du kannst dir sicher sein, dass ich nicht auf dich wütend bin und du mir nicht egal bist, wenn ich dir eine Weile nicht schreibe.

Bitte versuche zu verstehen und zu akzeptieren, dass mein Schweigen oft einfach ein grundlegender Teil meiner Selbstfürsorge ist.

Ich schätze deine Unterstützung und dein Interesse sehr. Aber wir beide müssen den Zustand in dem ich bin akzeptieren.

Für mich ist es sehr wichtig, dass du meine Situation kennst:

Ich kann die Wohnung oft nicht verlassen und an manchen Tagen kaum das Bett. An den meisten Tagen fühle ich mich sehr krank und habe Schmerzen. So ist das seit mehreren Jahren, und es wird wahrscheinlich noch eine Weile so weiter gehen.

Das für sich ist schwer genug. Ich möchte mich nicht auch noch schuldig oder in Erklärungsnot fühlen, weil andere Menschen sich wundern, dass ich nicht bald gesund werde oder mich nicht zumindest nächste Woche, in den nächsten Monaten oder im nächsten halben Jahr besser fühle.

Es ist leider nicht sehr wahrscheinlich, dass das passiert.

Für mich ist es nicht hilfreich, weiter so zu tun als ob im nächsten Monat alles wieder normal wäre.

Wenn dieser Zeitpunkt kommt, wenn ich mich endlich besser fühle und sagen kann „ich werde gesund und fühle mich wieder gut“ werde ich der glücklichste Mensch sein. Aber ich kann nicht jeden Tag darauf warten, dass das eintritt und für eine Zukunft leben, die ich nicht kenne.

Mein Leben ist hier und jetzt, mit all den Schmerzen, all der Krankheit, all meinen Sorgen.

Mit meiner Unfähigkeit, meine Lebensumstände maßgeblich zu verändern. Ohne eine Chance, meine Doktorarbeit zu beginnen, ohne die Kraft, im echten Leben neue Menschen kennen zu lernen. Ohne die Energie, intensivere Körperübungen oder Meditationen zu machen.

Ich habe keine Karriere, auf die ich stolz sein kann, keine eigene Familie und ich verdiene auch kein Geld.

Ich kann meine Unsicherheit nicht mit physischer Stärke oder sexueller Attraktivität kompensieren. Ich kann meine Zufriedenheit nicht durch neue Beziehungen, sportliche Aktivitäten oder dem Zusammensein mit Freunden fördern, und auch nicht mehr durch das Reisen und Wandern in der Natur, wie ich es früher oft gemacht habe.

An vielen Tagen kann ich noch nicht einmal durch Schreiben, Malen oder Musik machen meine Kreativität ausleben.

Ich kann mich nur in Akzeptanz üben und jeden kleinen schönen und wahren Moment ganz festhalten.

Ich versuche einen Sinn und sogar Freude darin zu finden, dass ich so erbarmungslos auf mich selbst zurück geworfen werde: In der Tatsache, dass mir fast jede Möglichkeit fehlt, mich von den existenziellen Ängsten wie der Kürze und der Verletzlichkeit unserer Existenz abzulenken.

Dies ist sehr harte Arbeit und überhaupt kein einfacher Prozess.

So geht es mir, schon sehr lange, und so wird es mir auch in der nächsten Zeit gehen.

Trotz alledem – ich mag es, an deinem Leben Teil zu haben. Ich lese gern, wenn du über deine Lehrtätigkeit und deine wissenschaftliche Arbeit schreibst. Mir Bilder und Postkarten von deinen Reisen sendest.

Diese Dinge interessieren mich immer noch sehr, auch wenn ich selbst nichts derartiges berichten kann.

Mir bedeutet es viel, zu wissen, dass du als Freund da bist und an mich denkst. Das ist in dieser schweren Zeit sehr wertvoll, und wenn eine Freundschaft so eine lange Zeit mit spärlichem Kontakt überdauert, ist das etwas Besonderes.

Ich möchte auf keinen Fall, dass dies durch Missverständnisse oder mangelnde Kommunikation zerstört wird.

Bitte, melde dich bald, und schreibe mir gern, ob dieser Brief meine Situation für dich ein bisschen verständlicher gemacht hat.

Danke dir, von Herzen

Elisa“

2 Comments

  • Vera

    Liebe Elisa !

    Ein sehr schöner Brief ist er
    den Du verfasst hast, an den Freund.

    In einer Gemeinschaft vieler Kranker
    die krank waren und blieben, hieß es:

    – ich wasche heute, hast du etwas?

    – und einkaufen geht er später
    ich brauche… hättest Du gern..?

    Eine normale unsichtbare Fürsorge
    ohne zu fragen: wie geht es dir
    was brauchst du,

    macht es dem Menschen
    der den Zustand ‚es geht mir selten gut‘ tragen muss
    leichter.

    Vielleicht kann dieser mir
    einen Knopf annähen
    einen Strumpf stopfen
    die Post durchsehen.

    Die Aussenstehen müssen begreifen das der Betroffene aus sich heraus will und kann.

    Er wird fragen oder nicht fragen.

    Das mag abhängig sein von
    Charakter und Erwartung
    Bedürfnis Eigenständigkeit.

    Der Erhalt der Würde der Person,
    das spürt der Kranke
    es ist das letzte, dieses Gefühl
    auch noch verlieren zu müssen.

    Ein Rollstuhl – Fahrer wird selten gefragt: wie geht es dir
    es ist offensichtlich.
    Oder es ist die normale Formulierung im Alltag:
    Wie geht’s?

    Leicher ist es zu sagen:

    – es ist Bauernmarkt,
    wenn wir direkt davor parken
    kurz dort sitzen

    ich hole das Gemüse
    du wartest kurz
    wenn das ok ist

    oder tust was dir in den Sinn ( Kraft ) kommt ?

    ‚ hinten herum ‚ sorgen, aber unsichtbar.

    Wer will Aufmerksamkeit auf das,
    was er kontinuierlich erlebt,
    mir geht’s nicht gut ?

    Wie geht es dir – mitleidig.
    Ich helfe ‚unsichtbar‘ – mit Mitgefühl,

    und mit der Aufmerksamkeit
    mich im Anschluss daran,
    meinen Hobbys zu zu wenden.

    Du sollst nicht das Gefühl haben
    ich opfere mich
    das willst du nicht,

    ich auch nicht – es bekommt nicht.

    Das rächt sich
    es erzeugt ein schlechtes Gefühl
    das schlechte Gewissen.

    Dankbar sein müssen
    Schuld-Gefühle
    Für was, das ich krank bin ?

    Frag mich nicht so oft
    wie es mir geht

    sind wir uns nah
    weiß ich und du
    das ich es dir sag
    und du es mich fragst.

    Ohne Worte
    Ungefragt in der Stille;

    so wie du mir eine Urlaubskarte schickst

    an mich gedacht
    für mich ausgewählt.

    Mit-samkeit, wenn.
    Unsichtbar.

    „Wie geht es dir du meldest dich nicht ich mache mir solche Sorgen“

    klingt nach Vorwurf:

    Ich mache mir Sorgen,
    weil du immer noch bzw seit Jahren schon..

    Wieviele tragen Sorgen
    ohne diese als Last zu betiteln ?
    Wer schwerkranke Kinder hat,
    sorgt sich nicht und sorgt sich doch.

    Aber organisiertes Sichsorgen
    um des Kindes Willen,
    welches, so lang es noch kann,
    über den PC im Krankenhaus am Lernstoff seiner Klasse virtuell teil nimmt,
    Die Tests mit schreibt
    unter gleicher Bedingung bewertet werden will,
    anders würde ihm die Würde genommen,

    der schwerste Stoß für ein chronisch kranken Menschen gleich welchen Alters.

    Ebenso schwer wiegt:
    Du Arme –
    Kinder winken ab: ach geht schon
    nicht so schlimm, ließt du mir
    etwas vor?
    Schauen wir gemeinsam einen Film?

    Zeig mir Deine Urlaubsbilder!
    Ich bin zur Freude fähig
    sonst schließt du mich aus.
    Sprechen fragen ich habe Bilder
    hast du Lust ?

    Ich bin krank aber eigenverantwortlich
    Ich sag nein keine Urlaubsbilder jetzt
    Ich kann ja und nein sagen
    wie jeder.

    Nicht: kannst du meine Urlaubsfreude aushalten du, die du keinen Urlaub
    in Sicht hast?

    Allein der Normalität wegen.
    Der Verbitterung entgegen

    In einer Schein-Normalität ist es leichter, nicht mehr zu können.

    Ein Unfall, die Mutter bleibt im Rollstuhl für immer.
    Sie fährt so froh wie möglich
    ihre Kleinen auf ihrem Schoß die Einkaufsregale entlang.

    Inzwischen sind die Kleinen groß
    sie gehen neben dem Rollstuhl her.

    Normalität.
    Trägt.

    Danke.

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