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Wozu bin ich krank? Zwischen Kontrolle und Akzeptanz

Ursprünglich wollte ich einen Artikel mit der Überschrift „Wofür meine Erkrankung gut ist“ verfassen und Dinge aufzählen, die ich in dieser Zeit gelernt habe – aber schon beim Lesen dieses Beitragstitels verging mir die Lust, ihn zu schreiben. Warum? Weil meine Erkrankungen nicht gut sind. Im Gegenteil. Sie haben mir viel genommen.

Gleichzeitig habe ich durch die schwere Zeit natürlich auch Dinge erfahren und erlebt, die sonst nicht Teil meines Lebens gewesen wären.  Dennoch – das ist für mich kein Grund zu sagen, ich bin froh dass ich krank geworden bin.

Ich habe von Menschen gelesen, die von sich sagen: „Ich würde auf meine Erkrankungen nicht verzichten wollen, da ich viel dadurch gelernt habe.“

Das finde ich je nach Schwere der Erkrankung sehr beachtlich. Vielleicht sehe ich es in ein paar Jahren ähnlich, wer weiß?

Wenn ich jedoch jetzt die Entscheidung hätte, ich wäre lieber Gestern als Übermorgen gesund. Ich würde sofort meinen Rucksack packen und ans Meer fahren, vor Glück weinend und schreiend, und innerlich die ganze Welt umarmend.

Es gibt diese Fragen, die oft im psychsomatisch-therapeutischen Kontext auftauchen: „Für was ist deine Erkrankung gut“, „Wofür brauchst du deine Erkrankung“ oder „Was will dir dein Körper damit sagen“.

Für mich sind diese Art von Fragen eine Gratwanderung und nah bei einer Schuldzuweisung, im Sinne von „du oder irgendetwas in dir hat sich deine Erkrankung unterbewusst herbei gewünscht“ oder „du hast etwas falsch gemacht – du musst etwas falsch gemacht haben, denn niemand wird einfach so krank“.

Wir suchen immer einen Grund für irgendetwas, einen Verantwortlichen, eine Erklärung.

Dieses Bedürfnis ist ganz tief in der menschlichen Natur verwurzelt. So entstanden Schöpfungsmythen, genauso wie die Hexenverfolgung. Und auch den Naturwissenschaften liegt sinnvollerweise die Überzeugung eines Ursache-Wirkungs-Prinzips zugrunde.

Eine Erklärung zu suchen und zu finden, die wir selbst beeinflussen können, gibt uns das Gefühl von Kontrolle. Einen inneren Halt gegen die furchteinflößende Ungewissheit über den Verlauf unseres Lebens und damit auch unserer Gesundheit.

Und oft gibt es ja tatsächlich Faktoren in unserem aktuellen oder früheren Verhalten, unseren Gedanken, den Lebensumständen und -entscheidungen, die uns innerem und äußerem Stress ausgesetzt haben, und so mit zum Erkrankungsausbruch oder zur Verschlechterung beigetragen haben.

Diese Dinge zu analysieren und zu verstehen, unseren Körper besser zu deuten und in Zukunft achtsamer und verantwortlicher mit uns umzugehen ist sicher ganz wichtig und hilfreich.

Dennoch ist niemand Schuld an einer Erkrankung. Niemand ist in der Lage, sein Leben „perfekt“ zu leben – Alle Menschen tun Dinge, die im Nachhinein unter gesundheitlichen Gesichtspunkten als nicht optimal angesehen werden können. Nur so können wir Erfahrungen machen und lebendig sein.

Das Gefühl von Schuld kann eine große Last sein, an der viele von uns sowieso schon viel zu schwer zu tragen haben.

Was wir vor allem brauchen ist achtsamer Umgang mit uns selbst, Mitgefühl und Akzeptanz.

Die Vorstellung von theoretisch fast absoluter Kontrolle über unseren Körper und unser seelisches Befinden sehe ich häufig sowohl bei gesunden, extrem fitnessbewussten Menschen, in spirituellen Kreisen und auch in Foren und Communities. die sich mit dem Umgang mit verschiedenen chronischen Erkrankungen beschäftigen.

In diesem Gefühl zu leben kann sehr machtvoll sein. Es kann beflügeln und zu Leistungen und Veränderungen motivieren. Auf der anderen Seite kann es auch extremen Druck aufbauen. Der kleinste Leistungseinbruch oder die Verschlechterung der Erkrankung wird als Fehler analysiert.

Die Gefahr sehe ich darin, dass wir uns dabei verlieren. Dass wir die Komplexität des Lebens unterschätzen. Dass wir krank sein und Leid als Gegner ansehen, dass wir uns selbst und unser Verhalten für alles verantwortlich machen, dass wir verzweifeln, wenn es uns nicht gelingt durch Arbeit an uns selbst, durch strenge Kontrolle unserer Ernährung und unserer Lebensführung gesund zu werden.

Wenn ich davon überzeugt bin, meine Gesundheit fast gänzlich kontrollieren zu können, wird jede chronische Erkrankung zum persönlichen Versagen.

Und sollten wir nach langer Krankheit gesund werden, entwickeln wir vielleicht sogar eine innere Überheblichkeit dem Leben gegenüber, wo Demut angebracht wäre.

Auch wenn es viele Dinge gibt, die wir für unsere Gesundheit und unsere Selbstheilungskräfte tun können und die Illusion von Kontrolle eine riesige Motivation sein kann, sich gesundheitsbewusst zu verhalten: Krankheiten und körperliche Grenzen sind und bleiben Teil des Lebens.

Die gesündeste Lebensführung, die achtsamste und weiseste Haltung, kann uns nicht vollständig davon befreien.

Ich möchte damit nicht sagen: Bleibt vor dem Fernseher sitzen, denkt nicht über eure Ernährung und eure seelische Gesundheit nach.

Es ist extrem wichtig, gerade für uns mit chronischen Erkrankungen, gut mit uns umzugehen. Es gibt viele Möglichkeiten, unseren Körper bei der Heilung zu unterstützen und für mich hat dies in meinem Alltag oberste Priorität.

Ich habe schon vieles probiert und ich gehe immer wieder neue Wege. Eine ärztliche Prognose über meine Gesundheit betrachte ich zwar realistisch, sehe sie aber niemals als festgeschrieben an. Ich halte es trotz meiner jahrelangen Erkrankung für eine reale Möglichkeit, früher oder später wieder gesünder zu werden.

Dennoch: Leben bedeutet, auch gesundheitlich nicht immer das zu bekommen was ich mir wünsche und anstrebe. Ich bin krank, weil Krankheit ein natürlicher Teil des Lebens ist. Weil ich ein lebendiges Wesen bin mit einem Körper und weil auch schwere Erfahrungen Teil des Lebendigseins sind.

Weil ich mich in meiner Lebendigkeit auch Gefahren aussetze.

Für mich gibt es letztlich keinen tieferen ursächlichen Grund, und somit auch keine Schuld.

Ich würde gern auf meine Erkrankungen verzichten. Da sie jedoch offensichtlich zu meinem Leben gehören, und wir das Gesamtpaket nehmen müssen, akzeptiere ich sie als Teil meiner Erfahrungen. Das ist für mich die eigentliche innere Arbeit und mit das Schwerste, was ich in meinem Leben lernen muss.

Dies anzuerkennen ist außerdem für mich ein wichtiger Teil meiner seelischen Heilung, die unabhängig von äußerlichen Beschwerden und Schwankungen meiner Symptome und meines Befindens geschieht.

Letztlich gibt es wirklich auch so manches Positives, das ich im Verlauf meiner Erkrankung gelernt habe. Dinge, die ich sonst vielleicht nicht in diesem Ausmaß oder viel später im Leben erfahren hätte – darüber schreibe ich im Beitrag 3 Dinge, die ich durch das Kranksein gelernt habe

Wie siehst du das? Wie sind deine Erfahrungen mit Kontrolle und Akzeptanz von Krankheit und Gesundwerden?

6 Comments

  • Katharina

    Mich haben Deine Worte sehr inspiriert. Vor allem die Stichworte Kontrolle und Akzeptanz. Auch ich habe eine chronische Krankheit, mit der ich mich noch sehr stark identifiziere. Und die ich mehr zu kontrollieren als zu akzeptieren versuche. Besonders berührt haben mich Deine Worte, dass am Leben zu sein nichts Selbstverständliches ist. Und dass das Denken in gesund oder krank-Kategorien ein Schwarz-Weiß-Denken ist. Herzlichen Dank für Deine Erfahrungen und Deine Anregungen.

  • Markus W.

    Danke für diesen ausführlichen Beitrag zum Thema „Kontrolle“ und „Akzeptanz“.

    Ich möchte noch ein paar meiner Erfahrungen hinzufügen.

    Ein Arzt sagte mir einmal, dass er mir ansehen würde, dass ich meine Erkrankung noch nicht akzeptiert hätte. Ich war in diesem Moment mit dem eingeschlagenen Behandlungsweg nicht zufrieden. Ich habe mir einen anderen Arzt gesucht. Es gibt Ärzte, die mit meiner Art, meine Erkrankung zu „akzeptieren“, gut zurecht kommen.

    Gerade bin ich dabei, jeden meiner körperlichen Zustände ganz zu akzeptieren. Das geht nur im Moment. Die Beschwerden ändern sich immer wieder. Dann gilt es diese neue Situation neu zu „umarmen“, zu atmen oder zu kapitulieren oder Mitgefühl zu üben. Es geht mir nicht um das Etikett „Krankheit“, das es zu akzeptieren gilt.

    Oft kommt mir die im Buddhismus betonte Vergänglichkeit zu Gute. Nichts bleibt, wie es ist. Es gab einen Moment, da wurde mir eine Krankheitsdiagnose gestellt. Es gibt die Möglichkeit, dass sich auch das wieder ändert. Alleine die Möglichkeit birgt Hoffnung und Trost. Es ist keine Erwartung. Es ist ein Glaube und Glaube kann bekanntlich Berge versetzen.

    • Elisa

      Hallo Markus,

      danke dir sehr für deine Erfahrungen. Ich erlebe das ähnlich, es gibt zwar schon eine Grundhaltung der Akzeptanz – aber die Beschwerden zu akzeptieren „darf“ ich täglich oder stündlich immer wieder von neuem.

      Krankheit und Schmerzen zu akzeptieren heißt für mich genau wie du schreibt, nicht das Etikett anzunehmen. Das macht für mich gar keinen Sinn, denn es ist nicht schwarz und weiß – krank und gesund. Wir alle haben einen Körper der unterschiedlich „reibungslos“ funktioniert oder auch nicht. Und wir alle unterliegen der Vergänglichkeit. Manche haben eben damit früher und mehr zu tun als andere.

      Außerdem heißt Akzeptanz für mich nicht, alles widerstandslos und ohne zu kämpfen hinzunehmen. Gut dass du neue, passendere Ärzte gefunden hast, das ist ja nicht immer so einfach.

      Den Gedanken des ständigen Wandels aus dem Buddhismus finde ich auch sehr hilfreich – Toni Bernhard von der ich hier immer wieder etwas übersetze, schreibt ja auch viel darüber.

      Alles Liebe für dich!

      Elisa

  • Vera

    Liebe Elisa!

    Ich habe keine Kontrolle über
    das was ist und immer war, außer gut für mich zu sorgen.

    So bin ich frei.

    Ich gebe ‚der Sache‘ so wenig Raum wie möglich und erhalte mir so Freude Spass und lachen.

    Ich muss mich aus dunklen Themen heraus halten, eine Achtung mir gegenüber.

    Ich wurde zum zweiten Mal chronisch krank mit 18. Unbehandelbar.

    Wenn ich von da an mich dem
    ‚hin gegeben‘ hätte, wäre mir die Lebenslust vergangen.

    Die Sache ist Kompagnon meines Restes
    Wir haben und aneinander gewöhnt.

    Ist es sehr hart, schone ich das Ganze.
    Es hat nie nur schlechte Zeiten gegeben ich wäre gestorben.

    Ich lebe aber also gibt es Wandel im
    Ganzen.

    Damit bin ich froh.

    Gruß,
    Vera

  • Arno

    Hallo!

    Danke für den erneut sehr interessanten Beitrag von Dir. Ich werde versuchen meine Sicht kurz zu halten.

    Das ist auch insofern recht einfach, weil ich wie so oft deine Gedanken teile. Das Wort „Schuld“ gibt es in Tibet meines Wissens gar nicht. Ich mag es übrigens auch nicht, weil welche Rolle spielt es, wer oder was an etwas Schuld ist? Also so ist meine Einstellung dazu.

    Ich widerspreche den immer wieder geäußerten Aussagen, wie „Krankheiten oder Leid hätten einen tieferen Sinn“. Gerade die Psychologie bzw. auch die Medizin bedient sich gerne dieser Ausdrücke, aber auch viele Menschen im Sog davon, die Geld damit verdienen wollen.

    In spirituellen Foren bin ich auch manchmal und überrascht über die Härte die dort herrscht gegenüber Menschen mit Leid.

    Da kommen Aussagen, wie „Es gibt viele Menschen, denen geht es schlechter als dir“ – als ob ein Betroffener mit so einer Aussage etwas anfangen könnte, selbst wenn es so ist, was ja stimmt, man findet Millionen von Menschen, denen es schlechter gehen mag, aber damit fängt jemand der Leid hat nichts an.

    Es ist auch fast unverschämt Menschen zu sagen, sie müssten so oder so leben, dann werden sie wieder gesund. Weil das ist Blödsinn, ich kenne Menschen, die perfekt lebten und auch krank wurden oder starben.

    Jeder gesunde Mensch kann jederzeit krank werden oder sterben. Nur sind sich die „normale“ Menschen dessen kaum bewusst. Sie denken, sie leben unendlich und so agieren sie leider auch oft gegenüber anderen.

    Eine meiner

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